Interview: Klinische Daten sind unerlässlich
medical design | 02.05.2019 Künstliche Intelligenz lässt nicht nur in der Automobilindustrie, der Produktion oder Versicherungsbranche auf eine Optimierung von Arbeitsabläufen hoffen. Auch in der Medizin und in Medizinprodukten ist Künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch.
Eine große Möglichkeit bietet Künstliche Intelligenz (KI) in der Herstellung von Kausalität. »Obwohl eine klare Zuordnung von Ursache und Wirkung mittels KI nicht immer möglich ist, kann sie auch heute schon helfen, Zusammenhänge zwischen Symptomen und Krankheit zu erforschen«, sagt Ralph Steidl, Geschäftsführer der 2016 gegründeten Portabiles Healthcare Technologies. So könne sie die Entwicklung von »herkömmlichen« Mathematik-basierten Algorithmen befruchten, die eine höhere Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse ermöglichen. Mitbegründer des jungen Unternehmens sind Professor Björn Eskofier, Inhaber des Lehrstuhls für maschinelles Lernen und Datenanalytik der Universität Erlangen-Nürnberg und Professor Jochen Klucken, Neurologe und Parkinson-Experte an der Universitätsklinik Erlangen und medizinischer Direktor des Medical Valley Digital Health Application Center. In interdisziplinärer Zusammenarbeit entwickelten sie eine Ganganalyse für Parkinsonpatienten, das Mobile GaitLab. »Wir entwickeln ein System, mit dem wir mittels in Schuhe integrierten Bewegungssensoren die Wirkung einer Therapie bei Patienten mit dem Parkinson Syndrom oder anderen Bewegungserkrankungen objektiv messen wollen«, erklärt Steidl. Da die Patienten die Schuhe im Alltag ganztägig tragen können, habe der behandelnde Arzt die Möglichkeit, tagesaktuell die Bewegungsfähigkeit des Patienten zu überprüfen. »So kann er rechtzeitig und zielgerichtet seine Therapie individuell auf den Patienten anpassen.« Unterstützt werden soll die Entwicklung durch den Einsatz von KI. Bereits heute ist es möglich, mit Deep Learning Algorithmen hochpräzise Gangparameter zu berechnen. KI jedoch kann noch mehr: »Durch die Zuhilfenahme Künstlicher Intelligenz wollen wir aus dem Gangbild den Krankheitsverlauf ein Stück weit vorhersagen und beispielsweise berechnen, wie hoch die individuelle Sturzgefahr des Patienten ist«, so Steidl.
In der Prognostik mittels Sensoren sieht auch Marc Batschkus den Mehrwert von KI. Der Mediziner hat sich auf die medizinische Informationsverarbeitung spezialisiert hat und ist auch beratend tätig. »Kleine Geräte werden besonders chronisch Kranken bessere Anzeigen zu ihrem Verlauf und eventuell nötigen Interventionen geben können«, so Batschkus. Im Vordergrund seien hier jedoch die Sensoren, weniger die KI. »Allerdings werden diese Daten für große Datensammlungen benutzt und daraus Prognosen abgeleitet.« Zahlreiche Zulieferer zu Software und Sensorik werden dieses Zusammenspiel von Hard- und Software als Grundlage künftiger Implementierung von KI auch auf der Medtec Live in Nürnberg vom 21. – 23. Mai 2019 zeigen. »KI ist eines der Topthemen sowohl auf der Messe als auch im Rahmenprogramm sowie auf dem parallel stattfindenden Medtech Summit«, sagt Alexander Stein, Director Medtec Live bei der Messe Nürnberg.
Auch Siemens Healthineers setzt auf die Möglichkeiten der KI: Bereits über 40 KI-basierte Applikationen sind in den Produkten integriert. Ein Beispiel ist die Fast3D Camera der Somatom go Computertomographen. »Gestützt auf KI und Deep-Learning-Technologien ermöglicht die Kamera die automatische, präzise isozentrische Positionierung der Patienten«, erklärt Jörg Aumüller, Head of Digitalizing Healthcare Marketing bei Siemens Healthineers. Laut Studien besteht bei über 90 Prozent der Aufnahmen Verbesserungspotential hinsichtlich der Lagerung des Patienten. Doch schon kleine Unterschiede in der Positionierung des Patienten können von Bedeutung sein. »Bereits wenige Zentimeter Abweichung von der idealen Position können sich negativ auf die Röntgendosis sowie die Bildqualität auswirken«, sagt Aumüller. Ausgestattet sind die Somatom go Computertomographen dafür mit einer 3D Infrarot-Kamera, die auf KI und Deep-Learning-Technologien basiert. Bereits zu Beginn der diagnostischen Kette könnten somit unerwünschte Abweichungen reduziert und potentielle Wiederholungsscans vermieden werden.
Auch KIs müssen lernen
Damit die Systeme derartige Aufgaben überhaupt erfüllen kann, müssen sie zunächst angelernt werden. »Beim Maschinellen Lernen stellt der Mensch einem Algorithmus Daten zur Verfügung«, erklärt Dr. Matthias Weidler von Astrum IT, einem im Medical Valley ansässigen Dienstleister, der sowohl IT-Consulting als auch Software Engineering anbietet. In der Trainingsphase werden beispielsweise Bilder von gesunden und gebrochenen Knochen gezeigt. »Das Ziel ist es, anhand der Daten dem System beizubringen, was zu welcher Klasse gehört«, so Weidler. Wichtig dafür ist es, dass die Daten die gesamte Vielfalt abbilden und qualitativ hochwertig sind.
Allerdings gebe es dabei heutzutage noch gewisse Grenzen, gibt sein Kollege Dr. Jan Paulus zu bedenken: »Die KI ist noch weit davon entfernt, Regeln selbst weiter zu verarbeiten. Sie hat kein Bewusstsein, keine Kreativität und ist noch nicht imstande, zu erkennen, warum etwas so ist, wie es ist.« Weidler fügt hinzu: »Alles auf was die KI nicht trainiert wurde, kann sie auch nicht zuordnen.« Daher ist eine Vielzahl an Trainingsdaten unabdingbar. »Um an die erforderliche Menge an Trainingsdaten zu kommen, sind klinische Kooperationen unerlässlich«, gibt Aumüller zu bedenken.
Die Healthineers setzen daher auf internationale Zusammenarbeit. Auf diese Weise kann die KI auch kontinentübergreifend trainiert werden und mittels zusammengeführter Daten verschiedene Populationen abdecken. Viel Arbeit in das Anlernen ihrer noch im Entstehungsprozess befindlichen KI hat auch Portabiles gesteckt: »Wir haben mehr als 2000 klinisch stratifizierte Ganganalysen, vor allem mit Parkinson Patienten, durchgeführt und verfügen dadurch über einen großen Datenpool«, berichtet Geschäftsführer Ralph Steidl. Dieser wächst durch drei klinische Studien, die gegenwärtig laufen, zusätzlich an.
Fehler sind vorprogrammiert
Gerade in Europa ist die Gewinnung von Daten aufgrund der strengen Datenschutzverordnung mit vergleichsweise mehr Aufwand verbunden als in anderen Ländern. Insbesondere China gilt im Bereich KI derzeit als Vorreiter. Eine weitere Problematik sieht Mediziner Batschkus darin, dass viele Daten allein noch nicht zum gewünschten Ergebnis führen. »Der Begriff und die Methodik der KI sind untrennbar mit Big Data verbunden, da große Datenmengen benötigt werden, um KI Systeme zu erstellen oder zu trainieren.«
Bei Big Data gibt es jedoch zahlreiche methodische Schwachstellen und eine voreilige Euphorie nach dem Motto »Mehr Daten bedeutet mehr Erkenntnis«. Teilweise wird hier ohne jeden theoretischen Ansatz gearbeitet und damit sind Fehler und Fehlentscheidungen bei der Entwicklung schon vorprogrammiert. Tatsächlich ist ein gewisses Know-how für das Anlernen der KI eine obligatorische Voraussetzung: »Häufig werden die Fehler nicht böswillig gemacht, sondern weil erforderliche Kenntnisse einfach nicht vorhanden sind«, bemerkt Paulus. Um in solchen Fällen Abhilfe zu schaffen, bietet beispielsweise Astrum eine unterstützende Beratung. »Das geht soweit, dass wir den gesamten Entwicklungsprozess begleiten«, so Weidler abschließend.